Das Nepal-Erdbeben in der Everest-Region

Wir sind wieder in Deutschland und einigermaßen ausgeruht. Deshalb ist hier nochmal eine ausführlichere Version zum Erdbeben in Nepal. Die nachfolgenden Bilder haben wir ganz bewusst gemacht, um in Deutschland zeigen zu können, wie es in der Everest-Region aussieht.

Zur Einordnung: Kathmandu hat ca. 1 Mio. Einwohner. Davon sind einige tausend durch das Erdbeben verletzt oder getötet worden – was dementsprechend schon bei der Zerstörung von einigen Prozent der Häuser der Fall sein kann. Aus unserer Sicht war Kathmandu kein Trümmerhaufen, auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel und zurück haben wir nur wenige komplett zerstörte Häuser gesehen. Das soll nicht die Lage in Kathmandu herunterspielen, die ist dramatisch und es sind vor allem alte und schlecht gebaute Häuser bzw. Stadtviertel betroffen. Es soll als Vergleich zu unseren Erfahrungen aus den Bergdörfern dienen. Die Medien berichten natürlich über die zerstörten Stadtviertel und Gebäude. Alles was noch steht, müsste nun hinsichtlich der Sicherheit überprüft werden – derzeit ist vermutlich noch unklar, wie und wann das getan werden kann.

Wir waren zum Trekken in der Everest-Region unterwegs. Dort ist die Trekking-Route gleichzeitig die Hauptstraße, auf der alle Güter per Träger oder Yak transportiert werden. Eine befestigte Straße gibt es nicht. Die höchste Siedlung liegt auf 5200 m Höhe in Gorak Shep. Wer akklimatisiert ist, kann sie vom Flughafen Lukla aus zu Fuß in vier oder fünf Tagen erreichen. Wir haben durch die notwendige Akklimatisierung zehn Tage für den Aufstieg gebraucht.

Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Tour abzubrechen, indem man sich mit einem Helikopter ausfliegen lässt. Uns war beim Beben von Anfang an klar, dass alle Helikopter für die Versorgung und den Transport von Verletzten gebraucht werden und dass wir unsere Tour deshalb wie geplant zu Fuß beenden würden.


Das Erdbeben war am ersten von unseren drei Abstiegstagen im Dorf Shomare. Wir saßen beim Essen, als das Haus zu vibrieren anfing. Wir brauchten einen Moment um zu realisieren, was gerade vor sich ging. Als wir nach draußen rannten, sahen wir wie die Wände vom Schuppen und vom Klohäuschen einstürzten. 

Die Nepalesen gingen erstaunlich gelassen mit der Situation um, als hätten sie so etwas öfter. Allerdings dämmerte uns beim ersten Nachbeben eine halbe Stunde später, dass es ein größeres Beben gegeben haben musste. 

Wir sahen in dem Dorf zum Glück keine größeren Schäden und auch keine Verletzten und machten uns bald auf den Weg nach Pangboche zu unserer Lodge.  

In Pangboche waren die Schäden größer: bei fast jedem Haus waren die Giebelsteine herausgefallen und in vielen Wänden klafften Risse. Ein paar Häuser waren so stark zerstört, dass sie unbewohnbar sind und komplett neu aufgebaut werden müssen. Auch bei unserer Lodge stand der Giebel nicht mehr, die Familie der Herbergswirtin war gerade damit beschäftigt, die Giebelsteine aus zwei Betten zu räumen. In diesem Gebäude sollten wir übernachten? Nun - da es schneite bei Temperaturen um 0°C waren wir froh, in einem trockenen Raum zu sein. Daran änderte auch das Nachbeben am Nachmittag nichts, das die Lodge ohne weitere Schäden überstand. 

Allmählich wurde klar, was wirklich passiert war. Im Moment des Erdbebens wurde die Verbindung nach Kathmandu unterbrochen, es gab weder Telefon, noch Radio, noch Fernsehen. Es wurde vermutet, dass es in Kathmandu größere Schäden gegeben hatte. In den nächsten Stunden bekamen wir die ersten Informationen, zum Teil über Radio, zum Teil per SMS aus Deutschland: ein Beben der Stärke 7,5 bis 7,9 mit Epizentrum zwischen Kathmandu und Pokhara mit mindestens mehreren hundert Toten, das auch zu einer Lawine im Everest Base Camp geführt hatte. Spätestens jetzt war klar, dass wir unsere Familien benachrichtigen mussten! Zum Glück hatten wir ein Satellitentelefon dabei, mit dem wir den Reiseveranstalter und unsere Familien anrufen konnten – das Telefonnetz war im Wechsel nicht verfügbar oder total überlastet. Unsere Guides erreichten ihre Familien erst am nächsten Tag und erfuhren, dass ihre Familien wohlauf, aber ihre Häuser zerstört waren.

Wir legten uns komplett angezogen in die Schlafsäcke, die Wanderschuhe direkt vor den Betten und die Rucksäcke so weit wie möglich gepackt. Unser Guide Phurbar übernachtete am Ende in einem der Giebelzimmer – immerhin waren dort ja keine Steine mehr, die herunterfallen konnten. Tatsächlich riss uns ein weiteres Nachbeben um 23:30 aus dem Schlaf. Als wir Sekunden später alle auf dem Gang standen, war es zum Glück schon wieder vorbei. Wir verbrachten eine recht unruhige Nacht mit zwei weiteren leichten Nachbeben gegen 5 Uhr morgens.  

Am Morgen machten wir uns auf den Weg nach Namche. Das Bild war überall ähnlich, kaum ein Haus unbeschädigt, bei vielen fehlten die Giebelsteine. Oft werden bei diesen Häusern die lokal vorhandenen Steine so übereinander gesetzt, dass möglichst wenige Zwischenräume bleiben. Oft ist das Erdgeschoss verputzt, manchmal auch nur die äußeren zwei Zentimeter. Im Giebel wird auf das Verputzen wohl üblicherweise verzichtet, so dass die Giebel dem Beben am wenigsten entgegen zu setzen hatten.  

Wir hatten eigentlich die Besichtigung des Klosters Tengboche eingeplant. Leider wurde es durch das Erdbeben so stark beschädigt, dass wir das Gebäude nicht betreten konnten. Das Kloster wurde bereits beim letzten großen Erdbeben von 1934 und einem Feuer im Jahr 1989 zerstört – nun muss es ein drittes Mal repariert oder wieder aufgebaut werden.

Unser Weg führte durch den wunderschönen Rhododendron-Wald bergab und auf der anderen Seite einer Brücke wieder bergauf. Beim Mittagessen gab es das nächste starke Nachbeben. Wir rannten nach draußen, dort roch es nach Gas und die Herbergswirte gestikulierten und riefen auf Nepali etwas, das nur „Stell das Gas ab!“ bedeuten konnte – also rannten wir lieber noch 50 Meter weiter. Nach einigen Minuten kehrten wir zurück, um unsere Sachen zu holen. Diesmal hatte das Nachbeben die Fenster aufgedrückt. Wir warteten eine halbe Stunde, bevor wir unseren Weg fortsetzten, um nicht in einen Steinschlag zu geraten.

Auf dem Weg nach Namche sahen wir mehrere Steinschläge, die den Weg blockierten, aber glücklicherweise nicht unpassierbar gemacht hatten. Zum Teil hingen noch große Brocken am Berg, die sich jeden Moment lösen konnten – da wir jederzeit mit dem nächsten Nachbeben rechneten, war es beängstigend, dort vorbeizugehen und wir beeilten uns an diesen Stellen.

In Namche waren wir in einem der wenigen unbeschädigten Häuser untergebracht. Die Herbergswirtin erzählte stolz, dass das Haus von einem Ingenieur erbaut worden war. Alle Geschäfte waren geschlossen und die gesamte Bevölkerung schien damit beschäftigt zu sein, Zelte auf einem freien Platz oberhalb des Orts aufzubauen, der wie ein natürliches Amphitheater angeordnet ist und in dem Steinschläge besonders gefährlich werden können. Es gab früher als üblich Abendessen, weil für 18 Uhr ein weiteres Nachbeben erwartet wurde, das aber zum Glück nicht statt fand.


Am nächsten Morgen hatten schon vor dem Frühstück die Geschäfte geöffnet und ich beschloss, mir noch eine Mütze zu kaufen. Ich war mir nicht sicher, ob das angesichts der Lage so eine gute Idee war, wurde aber sehr schnell davon überzeugt: die Verkäuferin war sichtlich froh über einen Kunden und das kleine Stück Normalität, das ich mitbringen konnte.

Unser letzter Trekking-Tag führte uns bis nach Lukla, vorbei an vielen Dörfern mit dem uns schon vertrauten Schadensbild. Vor allem in Phakding sah es schlimm aus, mit mehreren eingestürzten Häusern. Kurz vor dem Dorf hatte ein Erdrutsch den Weg komplett unpassierbar gemacht und wir mussten mitten durch den Wald bergauf kraxeln, wo wir auf einem anderen Weg weitergehen konnten. Ohne diesen Alternativweg hätten wir dort fest gesessen!

Fast alle Lodges und Geschäfte waren geschlossen und wir waren froh, in Phakding eine Nudelsuppe zu bekommen. Besonders schlimm sah es bei der Lodge aus, in der wir auf dem Hinweg Mittagspause gemacht hatten: der Berghang war abgerutscht und hing nun mitten im Klohäuschen. Auf der anderen Seite des Wegs war der Hang mitsamt zwei Häusern abgerutscht.

Gegen 16 Uhr kamen wir in Lukla an und waren froh zu sehen, dass sich die Schäden in Grenzen hielten – augenscheinlich nur einige eingestürzte Giebel.

Nun begann für uns die nervenaufreibende Wartezeit auf einen Flug. Lukla kann nur bei ausreichender Sicht angeflogen werden. Durch das Erdbeben stauten sich hunderte Trekker, die ihre Tour beendet oder abgebrochen hatten. Unser gebuchter Flug konnte wegen Nebels nicht stattfinden und damit landeten wir auf der Warteliste, die nach einem absolut undurchsichtigen System abgearbeitet wird. 

Normalerweise werden zusätzlich Helikopter eingesetzt, um Touristen auszufliegen – in der gegenwärtigen Situation standen die natürlich nicht für uns zur Verfügung.

Dank der großartigen Arbeit unserer Guides kamen wir noch rechtzeitig vor unserem Rückflug in Kathmandu an, sie hatten es geschafft, einen Flug über Biratnagar zu organisieren. Einzelreisende hingen bis zu fünf Tage in Lukla fest.

Das Erdbeben war sowohl für uns als auch die Nepalesen ein Schock und eine Herausforderung. Wer die Opfer des Bebens mit einer Spende unterstützen will, dem sei folgender Link empfohlen: Heute.de - Spendenaufruf für Nepal